Von Menschen steht nichts in der Vorschrift

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25 Denkanstöße für Führungskräfte in der Feuerwehr“

Jens Müller präsentiert schwieriges Thema als leichte Kost.
Fachbücher zum Thema Feuerwehr gibt es reichlich; auch einige zum Thema Einsatzführung. Diese beinhalten in aller Regel vor allem einsatztaktische Hinweise. Zum Umgang mit den Menschen im Feuerwehrdienst steht meist nicht viel geschrieben und doch ist dies gerade im ehrenamtlichen Bereich ein
schwieriges Thema, was von den Führungskräften der Feuerwehr einiges abverlangt.

Jens Müller, bekannt von unserer Podiumsdiskussion „Freiwillige Feuerwehr der Zukunft – Zukunft der Freiwilligen Feuerwehr“ im März 2010 in Burkhardtsdorf, hat sich genau dieses Thema´s angenommen und kürzlich ein Buch verfasst; kein Lehrbuch oder Lexikon, sondern wie er es selbst beschreibt, ein Lesebuch. Und obwohl man hinter dem Titel „Von Menschen steht nichts in der Vorschrift – 25 Denkanstöße für Führungskräfte in der Feuerwehr“
eher schwer verdauliche Kost erwarten sollte, lässt sich das Buch tatsachlich leicht und schwungvoll lesen. Praxisbezogen, kritisch und an einigen Stellen auch mit einem Augenzwinkern werden unterschiedlichste Schwachstellen in der Menschenführung dargestellt und, wie es der Buchtitel verspricht, Denkanstöße für den Umgang mit Menschen im Feuerwehrdienst gegeben. Eigentlich ein MUSS für jede gute Führungskraft.

Eine kleine Leseprobe sollte Lust auf mehr machen:

Auszug: Kapitel 5.4, Seite 60-61  Die Welt geht unter ! – Führen unter Extrembedingungen

Führung ist die Einflussnahme auf die Entscheidungen und das Verhalten anderer Menschen mit dem Zweck, mittels steuerndem und richtungsweisendem Einwirken vorgegebene und  aufgabenbezogene Ziele zu verwirklichen.


Feuerwehr-Dienstvorschrift 100

Leitung im Einsatz ist das gesamtverantwortliche Handeln für eine Einsatzstelle und
für die dort eingesetzten Einsatzkräfte.

Der letzte Einsatz hatte ihm den Rest gegeben. An die Alarmzeit konnte er sich nicht mehr erinnern; vormittags irgendwann. Er wusste nur, dass er beim Alarm gerade mit dem Radwechsel an seinem Auto war. Das Feuer war nun aus und der Wohnungsbrand eigentlich kein großes Ding. Eigentlich. Aus Sicht seiner Kameraden war alles glatt gelaufen. Er war sich da nicht so sicher. Es fing schon damit an, dass kein Maschinist unter den am Gerätehaus eintreffenden Kameraden war. Erst als das Löschfahrzeug mit einer Staffel besetzt war, erschien endlich einer. Mehr Leute sollten es dann nicht werden.

Das nächste Problem: Die Alarmadresse stimmte nicht. Und es fehlten Geräteträger; das hieß: kein Sicherheitstrupp. Während der Lageerkundung hatte er mit der Nachalarmierung zu tun, die Nachbarwehren mussten eingewiesen werden und zu allem Überfluss hatte der Akku des tragbaren Vier-Meter-Funkgeräts seinen Geist aufgegeben.

Drei Nachbarfeuerwehren waren im Anrücken, mit den gleichen Problemen wie seine Wehr: Unterbesetzt, kaum Geräteträger, falsche Anfahrt. Unter diese Bedingungen versagte die Führungsorganisation, die sonst eingespielt war. Stress pur. Als Einsatzleiter musste er seine Einheit führen und die anderen Wehren dazu. Zum Glück wurde niemand im Gebäude vermisst. Was wäre gewesen, wenn? Solche und ähnliche Probleme sind den meisten deutschen Freiwilligen Feuerwehren nicht unbekannt. Nicht nur im ländlichen Raum, auch in größeren Städten kann so etwas vorkommen. Die Einsatzkräfte sind von den Widerwärtigkeiten weniger betroffen, als die Führungskräfte. Für die bedeutet das puren Stress. Den Einsatz zu bewältigen und dabei die Grundsätze der Dienst- und Unfallverhütungsvorschriften einzuhalten wird zur ultimativen Zerreißprobe für die eigenen Nerven. Welche Ratschläge kann man hier geben; welche Grundsätze helfen einem in solch einer Situation noch weiter?

Einige habe ich zusammengefasst:

  • Zunächst ist eine solche Einsatzsituation nicht der Platz für Ursachenforschung
    und Schuldzuweisungen. Wer aus welchem Grund nicht erschienen ist und wo
    die Ursachen dafür liegen, muss ausgeblendet werden. Sie müssen in der
    konkreten Situation mit dem leben, was sie haben.
  • Geht es um eine Menschenrettung, kann von den ansonsten heiligen
    Grundsätzen der Unfallverhütung abgewichen werden. Wenn sie beim besten
    Willen keinen Rettungstrupp stellen können, können sie keinen stellen. Beim
    Schutz von Sachwerten sieht das natürlich anders aus.
  • Die bewährten Führungsgrundsätze sollten unter keinen Umständen aufgegeben
    werden. Falls sie Einsatzleiter sind oder werden, bestimmen sie für ihre eigene
    Einheit einen anderen als Führungskraft und geben sie die Verantwortung für
    ihre Einheit an diesen ab. Machen sie sich selber klar, in welcher Funktion sie an
    der Einsatzstelle aufschlagen bzw. in welche Rolle sie wechseln und richten sie
    ihre Tätigkeiten danach aus. Wenn sie die Zeit haben, können sie für andere
    mitdenken. Wenn nicht, lassen sie es sein.
  • Hören sie als Einsatzleiter auf, sich um Details zu kümmern, auch wenn das ihre
    Art ist und sie das gerne möchten. Suchen sie sich einen Feldherrenhügel und
    stehen sie wie ein Fels in der Brandung, gerade wenn es dick kommt.
  • Beherzigen sie den Grundsatz, dass jede Führungskraft drei, höchstens fünf
    Einheiten führen kann. Andernfalls verlieren sie den Überblick. Wenn nötig,
    fassen sie Einheiten zusammen und unterstellen sie z.B. ein unterbesetztes
    Löschfahrzeug einer anderen Feuerwehr.
  • Halten im Einsatz den Dienstweg für Befehle und Rückmeldungen ein. Dulden sie
    niemals, wenn selbsternannte Führungskräfte über den Kopf des Einsatzleiters
    hinweg fremde Einheiten abziehen und verheizen.
  • Ignorieren sie eventuelle Befindlichkeiten in ihren eigenen Reihen und bei
    betroffenen Bürgern. Dafür haben sie unter den gegebenen Umständen keine
    Zeit. Streitigkeiten und persönliche Anliegen können nach dem Einsatz
    ausdiskutiert werden.
  • Achten sie darauf, wie sie auf andere wirken. Sind sie selbst hektisch, wird sich
    ihre Hektik auf andere übertragen. Bleiben sie selbst ruhig, behalten auch ihre
    Leute die Ruhe bzw. gewinnen sie zurück. Die Ruhe zu bewahren, ist überhaupt
    eine Kernaufgabe für sie als Führungskraft. Werden sie hektisch, machen sie
    automatisch Fehler. Überlegen sie sich gut, ob sie rennen müssen und ob sie die
    Lageerkundung richtig durchgeführt haben.
  • Sie können sich Zeit für eine ordentliche Lageerkundung verschaffen, indem sie
    Vorbefehle erteilen. Andernfalls kann es ihnen passieren, dass ihre Leute sie vor
    vollendete Tatsachen stellen, wenn sie von der Lageerkundung zurück kommen.
    Legen sie bei der Festlegung der Einsatzmaßnahmen besonderen Wert auf die
    Fahrzeugaufstellung, denn die kann nur mit großem Aufwand korrigiert werden.
  • Zuletzt ein Hinweis zur Vorbeugung: Nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz.
    Warum nicht einmal in einer Planübung einen Einsatz unter den Bedingungen
    aus dem Beispiel vom Kapitelanfang durchspielen? Sie brauchen dazu nicht
    unbedingt eine Planspielplatte.

Lust auf mehr ?
Die 65-seitige Broschüre mit einem Vorwort des baden-württembergischen
Landesbrandirektors Herrmann Schröder kann im Internet untere
www.feuerwehrzukunft.de für 24,00 € bestellt werden.

Für Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren gibt es einen Sonderpreis.

André Kühn
Leiter Regionalbereich Stollberg
Kreisfeuerwehrverband Erzgebirge e.V.